Blogartikel von Boris Fittkau

Ich habe immer gedacht, dass es im Zen-Buddhismus keine Innere Arbeit gibt. Das hatte mich schon immer gewundert. Mein Vater ist seit Jahren Zen-Buddhist und ich hab ihn noch nie von Erkundung in die eigene Ego-Struktur sprechen gehört. Wenn ich heute im Ridhwan-Retreat einen Vortrag höre, mit dem ich vielleicht nichts anfangen kann, dann würde ich mich ohne anschließende Übung ziemlich alleingelassen fühlen. Wenn am Ende des Vortrages die Übung angekündigt wird, gibt es zwar auch immer eine Art Zurückschrecken in mir, aber eigentlich freue ich mich. Den Vortrag nur zu hören und dann ohne Erkundung in die Pause zu gehen, wäre irgendwie merkwürdig. Etwas würde fehlen. Oftmals kommt bei mir erst in der Erkundung Klarheit und Verstehen über das, was im Vortrag besprochen wurde. Es wird fühlbar, was das Thema wirklich mit mir zu tun hat, und wie es in meinem Leben wirkt.

Im Zen-Buddhismus ist es anscheinend anders. Da gibt es, wie im Diamond Approach, Meditation. Es gibt Dharma-Vorträge. Und es gibt „Dokusan“, das Einzel-Gespräch mit dem Lehrer. Es gibt zwar Austausch mit anderen Weggefährten, aber nicht strukturiert in Form von Übungen. Ich hab mich schon oft gefragt, wie das gehen kann. Wie findet dann innere Entwicklung statt? 

Vor kurzem hatte ich ein längeres Gespräch mit dem deutschen Zenmeister Muho, der in Japan lebt und dort für viele Jahre als Abt ein Kloster geleitet hat. Für ihn war innere Arbeit nie ein Teil seines Weges. Selbst Dokusan gab es in seiner Tradition nicht. Es gab nur die Arbeit im Kloster, nur das Sein dort. Die Hühner mussten versorgt werden, das Essen musste um 12 auf den Tisch. Wie findet da innere Entwicklung statt, fragte ich ihn. Er überlegte. Der Meister war ja da. Und die anderen, die im Kloster waren. Ich war erstaunt, dass das anscheinend für ihn gereicht hat. Viel geredet über innere Prozesse wurde nicht. Jeder tat seine Arbeit. Ich fragte ihn, worin dann der Unterschied zwischen Arbeit im Kloster und Arbeit bei McDonalds liegen würde. Ich hätte immer gedacht, dass die innere Arbeit den Unterschied macht. Und, dass ohne Innere Arbeit, auch wenig Entwicklung stattfinden würde. Aber seine Anwesenheit, seine Präsenz im Gespräch war deutlich spürbar. Erstaunlich. Er sprach davon, wie die Arbeit im Kloster, obgleich „alltäglich“, immer von der morgendlichen und der abendlichen Meditation eingerahmt war. Und, der Meister war immer da. Eine stille Präsenz. Eine fortwährende Erinnerung, dass ich hier eben doch nicht bei McDonalds, sondern an einem heiligen Ort war. Den Meister konnte man auch jederzeit fragen. Obgleich man mit ihm meistens eher nicht über innere Prozesse sprach, sondern über die Hühner und über das pünktliche Essen. Das reichte. Einmal allerdings erzählte Meister Muho seinem Lehrer, dass er so verzweifelt mit der Meditation war, dass er dachte, er würde auf dem Kissen sterben. Sein Lehrer lächelte freundlich und meinte, kein Problem, auf dem Friedhof hinter der Meditationshalle sei immer noch genug Platz. Also doch innere Prozesse, also doch Innere Arbeit.

Ich schätze den Buddhismus sehr, und sehe, dass dort genauso Entwicklung stattfindet, wie bei uns in der Ridhwan-Schule. Die Entwicklung findet vielleicht auf eine andere Weise statt. Sie nimmt mysteriöse andere Wege, die ich nicht genau verstehe. Genau wie ich auch meinen Prozess mit Innerer Arbeit manchmal nicht verstehe. Zen ist ein Weg, der mich sehr inspiriert. Er zeigt mir den Wert von Innerlichkeit und Einkehr, von stillem Sein mit mir selber in Meditation. Gleichzeitig bin ich glücklich über jede Erkundung mit meinen Weggefährten, die ich im Rahmen der Diamond Approach Retreats erleben darf. Ich erlebe Erkundung für mich als das größte Geschenk, dass ich auf meiner Innere Reise erhalten habe. Erkundung fiel mir immer leicht. Meditation war für mich immer eine Riesenhürde. Zen zeigt mir, dass es Zeit ist für mich, der Meditation und der Einkehr wieder mehr Aufmerksamkeit auf meinem Weg zu schenken.

(Foto von Chris Ensey auf Unsplash)

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